Paul Oestreicher an seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter

für und gegen den Wiederaufbau der ehemaligen Garnisonkirche in Potsdam
Brighton im November 2014

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
eine kurze Bestandsaufnahme:

In meiner Eigenschaft als ehemaliger Leiter des Internationalen Versöhnungszentrums der Kathedrale von Coventry wurde ich im Jahr 2001 von der Kirche in Potsdam zu Rat gezogen. Ein Traditionsverband wolle die nicht mehr existierende Garnisonkirche nach altem Muster wieder aufbauen. Die Kirche sähe dieses Vorhaben aus naheliegenden Gründen sehr kritisch. Wie solle man damit umgehen? Man könne – so meinte ich schon damals – das Wagnis eingehen, diesen schwer vergangenheitsbelasteten Ort zu etwas Gegenteiligem verwandeln, ein Friedens- und Versöhungszentrum entstehen lassen als erkennbarer Widerspruch zu dem, was war. So etwas Prophetisches sei ein riskantes aber machbares Zeichen eines christlichen Neubeginns.
Das glaube ich heute wie damals. Deswegen begleite ich das Unternehmen – inzwischen ist die Nagelkreuzkapelle an der ehemaligen Garnisonkirche Mitglied der deutschen Nagel-kreuzgemeinschaft – mit wohlwollender aber kritischer Solidarität. Der Traditionsverband war nicht zu überzeugen und hat sich mitsamt seinem Geld verabschiedet. Eine Fördergesell-schaft und eine kirchliche Stiftung haben ihn ersetzt. Seit einem Jahrzehnt steht dort das Nagelkreuz Coventrys als vielversprechende symbolische Präsenz.
Es muss jedoch gesagt werden, dass von der Absicht, etwas völlig Neues zu gestalten, im Laufe dieser zehn Jahre nur wenig zu spüren war. Die Publizistik deutete zwar nicht auf eine neue Militärkirche, sondern auf eine kulturelle städtische Restauration: kein Traditionsverein, sondern eher ein Kulturverein. Nur noch ganz am Rande schienen Frieden und Versöhnung im Spiel zu sein. Von einer klar profilierten kirchenpolitischen Wende war wenig – trotz dem guten Willen einer engagierten jungen Pfarrerin – zu spüren.
Kritische Fragen meinerseits, eine zunehmend ernst zu nehmende Opposition vor Ort, nun gefolgt von einer oppositionellen theologisch orientierten Gruppe profilierter (hauptsächlich ostdeutscher) Christen, brachten eine Wende zum Guten. Der etwas in den Hinterhalt geratene ursprüngliche Plan hatte frischen Wind in die Segeln bekommen.
Eine erfahrene neu ernannte Pfarrerin hat Vieles bewegt. Die Leitung der Stiftung ist munter geworden. Die Kirchenleitung hat sich zum ersten Mal öffentlich mit dem Vorhaben solidarisiert. Die Gegner haben nicht umsonst agiert. Ich wage zu sagen, die gegenwärtige Debatte wird zum Segen werden, zum Segen aber nur dann, wenn sie respektvoll geführt wird. Ich habe zwar Partei ergriffen, aber mit hohem Respekt für die Gegner. Etliche stehen mir persönlich sehr nah. Ihre Vorbehalte haben Hand und Fuss. Es geht um bedeutende ethische Sachinhalte. Wäre mein Sitz im Leben ein anderer, könnte ich wahrscheinlich, ohne mir untreu zu sein, zur Opposition gehören. Wohlbemerkt, Opposition und Feindschaft sind grundverschiedene Dinge. Bei der gelegentlichen Schärfe der Auseinandersetzung und verhärteten Positionen kann diese Unterscheidung leicht aus dem Blick geraten.
Was erhoffe ich mir? Einen runden Tisch, intelligent und fair moderiert, wo alle aufeinander hören und keine und keiner um Sieg ringt. Kommt es zu keiner Verständigung, blamieren sich alle. Meine – zwar nicht massgebliche – Meinung ist, dass die Grundlage eines guten Kompromisses im Vorschlag Manfred Stolpes enthalten ist, nämlich dass der von Ulbricht zerstörte Turm – die Heilig Kreuz Kirche von der Zeit nach 1945 – als Zentrum des Friedens und der Versöhnung und zugleich als Bereicherung des Stadtbildes, nun wieder wie einst die Stadt mit drei Türmen, wiederaufgebaut wird. Das Kirchenschiff der Garnisonkirche mit all seinen Assoziationen und seiner Symbolik bliebe dann nur noch eine Erinnerung, als Zeichen des nötigen Bruchs mit der Vergangenheit. Die Stiftung müsste sich dazu verpflichten, und die Opponenten im Gegenzug müssten den Turm begrüssen und dessen Inhalte unterstützen. (Nebenbei gemerkt, das dadurch gesparte aber ohnehin noch lang nicht vorhandene Geld, hätte ihr eigenes ethisches Gewicht).
Mitglieder der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft befinden sich auf beiden Seiten der aktuellen Debatte. Aber alle, wie der Vorsitzende Dr. Oliver Schuegraf mir beteuerte, unterstützen die vor Ort schon begonnene Arbeit für den Frieden und die Versöhnung. Dean John Witcombe sagte mir vor einigen Tagen in Coventry, der Weg in die Zukunft sei einzig und allein die Sache der Potsdamer. Er beteuerte aber zugleich seine schon im Juli in Potsdam geäusserte Überzeugung, ein äusseres Zeichen der Gebrochenheit gehöre mit zur Heilung der Geschichte.
Das ist in Kürze nicht mehr und nicht weniger als meine sehr persönliche Bestandsaufnah-me. Sie ist in Freundschaft an alle gerichtet, die sich angesprochen fühlen.
Barbara und ich fliegen am 4. Dezember für vier Monate nach Neuseeland, unserer zweiten Heimat. Das ist der rechte Moment in meinem 84. Jahr, meine intensive Beschäftigung mit der Zukunft der ehemaligen Garnisonkirche zu beenden. Ich vertraue darauf, dass Ihr gemeinsam einen guten Schluss findet. ‚Es muss ein guter da sein, muss, muss muss‘.* Zum Gespräch – auch aus der Ferne – bleibe ich stets bereit. Bleibt meiner Freundschaft und meiner anhaltenden Fürbitte gewiss. Dass wir mitdenken und mitsprechen durften, hat uns – Barbara und mich – in vieler Hinsicht bereichert. Habt Dank dafür.
Innigste Segenswünsche
PAUL

*Bertolt Brecht: die letzten Worte aus Der gute Mensch von Sezuan
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Canon Dr.Dr.h.c.mult. Paul Oestreicher
97 Furze Croft, Furze Hill
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