(K)eine Geschichte der Garnisonkirche

Befürworter und Gegner eines Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche stehen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber. Zur Versachlichung der Diskussion könnten Darstellungen zur Geschichte dieses sakralen Bauwerkes beitragen, dessen wechselvolle Historie aufs engste mit der preußisch-deutschen Geschichte verknüpft ist.
Leider kann die jüngst erschienene Studie aus der Feder von Anke Silomon diesem Anspruch nicht gerecht werden. Die Autorin versucht, die Geschichte der Garnisonkirche im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen. Ein Versuch, der misslungen ist. Welche Gründe rechtfertigen dieses Urteil?

Zunächst wirkt verstörend, dass den Leserinnen und Lesern eine Geschichte ohne die wichtigsten handelnden Personen geboten wird: die in der Kirche amtierenden Pfarrer. Die Namen der bedeutendsten Geistlichen, Bernhard Rogge (1862 - 1906) und Johannes Vogel (1912 – 1919), tauchen überhaupt nicht bzw. eher beiläufig auf. Ein Zufall? Beide waren in der unmittelbar dem Kaiser unterstehenden Garnisonkirche („Immediatkirche“) die über ihre Zeit hinaus prägenden Persönlichkeiten. Sie personifizierten das strategische Bündnis von Thron und Altar. Bei ihnen handelte es sich nicht um „normale“ Garnisons- und Divisionspfarrer, sondern um Geistliche der Elitetruppe der preußischen Armee: der 1. Garde-Division. Zudem besaßen sie den Status eines Hofpredigers. Sie zelebrierten die Gottesdienste anlässlich der Konstituierung des Kaiserreiches in Versailles (1871) bzw. bei der 3. Obersten Heeresleitung (1917/18). Für beide war eine nationalistische, antidemokratische und ausgeprägt militaristische Geisteshaltung kennzeichnend. Der „Evangelische Feldpropst der Armee“ charakterisierte Johannes Vogel in einem Schreiben an den Chef des Militär-Kabinetts vom 27. September 1911 dementsprechend mit den Worten: „In Ihm vereinigt sich der überzeugungsvolle Theologe mit dem begeisterten Soldaten.“ Vogel engagierte sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in der monarchistisch-nationalistischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Er hielt engen Kontakt zu Wilhelm II., der im holländischen Exil lebte. Hier vollzog er die kirchliche Trauung mit dessen zweiter Ehefrau, Hermine Prinzessin von Schönaich-Carolath (geb. Prinzessin Reuß). Beide haben umfangreiche Memoiren hinterlassen, in denen sie ihre Kriegserlebnisse über weite Strecken im Stile eines „Abenteuer-Romans“ schildern. Beide waren darüber hinaus als Autoren von zahlreichen Büchern und Broschüren aktiv, in denen vor allem die Geschichte der Hohenzollern-Dynastie verherrlicht wurde. Frau Silomon führt die entsprechenden Veröffentlichungen weder im Literaturverzeichnis auf noch zitiert sie aus ihnen, obwohl sie „gleich um die Ecke“, in der Bibliothek des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam (ZMSBw) sowie in der Dienstbibliothek des ehemaligen Geheimen Preußischen Staatsarchivs in Dahlem unschwer hätten eingesehen werden können.
Die Zeit des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik, als die Garnisonkirche nicht selten als Veranstaltungsort militaristischer und rechtsextremer Organisationen diente (u.a. Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten, DNVP), wird unangemessen kurz behandelt. Lediglich der unsägliche Auftritt des Generals Erich Ludendorff im November 1919 findet ausführlich Erwähnung.

Und die Zeit des „3. Reiches“? Auf der S. 63 lesen wir: „Nach der Übernahme der Herrschaft durch die Nationalsozialisten ließen sich viele Christen und Repräsentanten der Kirche von der nationalistischen Euphorie anstecken.“ Eine stark verharmlosende, ja in die Irre führende Formulierung. War es nicht vielmehr so, dass bereits vor dem 30. Januar 1933 zahlreiche Pfarrer, Mitglieder von Gemeindekirchenräten und Synodale der Nazipartei bzw. der SA beigetreten waren oder den Nazis mit Sympathie begegneten? Konnte die NSDAP vorzugsweise nicht in den von protestantischer Bevölkerung dominierten Wahlbezirken ihren höchsten Stimmenanteil erzielen? Hatten die Kirchenwahlen am 13. November 1932 nicht der soeben gegründeten NS-Organisation „Deutsche Christen“ zu etwa einem Drittel der Mandate in den Gemeindekirchenräten verholfen? War die Machtübertragung an Adolf Hitler, seine NSDAP und die willfährigen deutschnationalen Bündnispartner nicht innerhalb der protestantischen Kirche, z.T. sogar mit Dankgottesdiensten, vielerorts begrüßt worden? Leider erfahren wir nichts darüber, ob und wie die Machtübertragung an Hitler, seine Partei und die deutschnationalen Bündnispartner in der Garnisongemeinde rezipiert wurde. Bei Anke Silomon erscheinen die protestantische Kirche und die Garnisonkirche ohnehin eher als Objekte, als Getriebene der damaligen politischen Entwicklungen. Das gilt auch für die bizarre Zeremonie am 21. März 1933, als in und vor der Garnisonkirche Hitler und Hindenburg ihren Bund für ein faschistisches „neues Deutschland“ besiegelten, wobei der Generalsuperintendent der Kurmark, der bekennende Antisemit und Nationalist Otto Dibelius, die Predigt hielt. Die Darstellung bei Anke Silomon ruft den Eindruck hervor, als hätte Dibelius beinahe im Stil eines „Oppositionellen“ gesprochen. Keine Erwähnung findet, dass Hitler an diesem Tage in der Garnisonkirche eine Ansprache hielt. A propos Dibelius: Auch seine am 15. Januar 1931, dem 60. Jahrestag der „Reichsgründung“, in der Garnisonkirche gehaltene, vor nationalistischen Topoi nur so strotzende Predigt, deren Text im Manuskriptdruck im ZMSBw in Potsdam vorliegt, wäre es wert gewesen, den Leserinnen und Lesern zur Kenntnis gebracht zu werden.
Leider muss auf die nicht geringe Anzahl handwerklicher Fehler hingewiesen werden, die Zweifel an der Solidität der Darstellung aufkommen lassen. Da werden z.B. auf S.126 und 129 zwei Briefe des Reichskirchenministeriums vom 14.2. und 11.3.1935 an die Gemeinde zitiert; zu diesem Zeitpunkt existierte dieses Ministerium noch gar nicht. Es wurde erst durch einen „Führer-Erlass“ vom 16. Juli 1935 aus der Taufe gehoben. Weiter sei auf die S.38 verwiesen, wo der Monat September 1919 als „mitten in der Hyperinflation“ liegend bezeichnet wird. Der Zeitpunkt der Hyperinflation wird hier kurzerhand um vier Jahre vorverlegt. Unzutreffend ist die Aussage auf S.91, der Superintendent Martin Thom sei „sehr NSDAP-nah“ gewesen. In Wahrheit gehörte er der Nazipartei bereits seit dem Dezember 1931 an und war am 6. Juni 1932 einer der Gründungsväter der „Deutschen Christen“. 1933 publizierte er unter dem vielsagenden Titel „Christenkreuz und Hakenkreuz“ eine Sammlung seiner Predigten.

Auch auf die eindimensionale Würdigung des mutigen Widerstandes von insgesamt zwanzig Offizieren des Infanterieregimentes Nr. 9, stationiert in Potsdam, Kirchgänger der Garnisonkirche, sei an dieser Stelle eingegangen. Sie alle hätten, so lesen wir bei Anke Silomon, auf S.111, „ein ähnliches Verständnis“ von einem „positiven Preußentum“ gehabt, das „auf christlichen Werten beruhte“. Sie zitiert Generalmajor Henning von Tresckows Worte, dass „von solch preußisch-deutschem Denken das christliche Denken gar nicht zu trennen ist. Es ist sein Fundament, und hierfür ist unsere alte Garnisonkirche Symbol.“ Leider erfahren wir nichts darüber, wie das Offizierskorps dieses Regimentes den 30. Januar 1933 bewertet hat: Wie den unverzüglich danach einsetzenden Terror gegen Andersdenkende und Juden? Wie die Einrichtung der SA-Folterstätten und Konzentrationslager sowie das willkürliche Handeln der Gestapo? Wie reagierten sie auf die in unmittelbarer räumlicher Nähe vollzogene Ermordung der Reichswehr-Generäle Kurt von Schleicher (Neubabelsberg) und Ferdinand von Bredow (Berlin-Lichterfelde) am 30. Juni 1934, anlässlich des so genannten Röhm-Putsches? Wie auf die „Nürnberger Gesetze“ und die Reichspogromnacht? Waren sie etwa nicht an den Aggressionen gegen die Tschechoslowakei, gegen Polen, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland, die Sowjetunion und andere Staaten beteiligt? Schlug das „christliche Gewissen“ der am Attentat auf Hitler beteiligten Offiziere des exklusiven Regimentes „Graf Neun“ nicht doch etwas spät? An dieser Stelle wären kritische Reflexionen, wenigstens aber einige Sätze, zur geistig-politischen Schnittmenge von Nationalsozialismus, Konservatismus und preußischem Militarismus zu erwarten gewesen, die das anfänglich begeisterte „Mitmachen“ von späteren Widerständlern erklären könnten. Doch nichts davon findet sich bei Anke Silomon.
Der Hauptteil des Buches besteht in der detailreichen Darstellung der Vorgeschichte der Sprengung der Garnisonkirche im Mai und Juni 1968, wobei allerdings der „rote Faden“ für die Leserinnen und Leser gelegentlich verloren zu gehen droht. Hier werden zahllose Einzelheiten und Nebensächlichkeiten ausgebreitet, während zuvor die Darstellung der Geschichte der Garnisonkirche in den Jahren bis 1945 in mitunter groben Pinselstrichen erfolgte. Den DDR-Autoritäten, namentlich Walter Ulbricht, wird die Rolle der kirchenfeindlichen Schurken zugewiesen, die zielgerichtet auf die endgültige Zerstörung des bei einem Bombenangriff am 14./15. April 1945 stark beschädigten Sakralbaus zusteuerten. Wäre es nicht geboten gewesen darauf hinzuweisen, dass zwischen der protestantischen Kirche und der Arbeiterbewegung eine seit über einem Jahrhundert währende Beziehungsgeschichte herrschte, die nicht zuletzt von der geistigen Unterstützung, zumindest aber Tolerierung, jeglicher Repressionen gegen Sozialisten und Kommunisten durch die Amtskirche, auch in der Zeit des „3. Reiches“, geprägt war? Dass sie beide Weltkriege geradezu emphatisch begrüßte, die Waffen für zwei Aggressionskriege segnete und die anfänglichen „Blitzsiege“ feierte? Dass sie keinen Finger rührte für die in Zuchthäusern und Konzentrationslagern gequälten und ermordeten Sozialisten und Kommunisten? Hätte hier nicht nach der Devise gehandelt werden müssen: „Was ihr getan habt einem von diesen geringsten Brüdern, das habt ihr Mir getan“?

Diese historischen Erfahrungen waren bei den handelnden Personen im Jahre 1968 noch sehr gegenwärtig, wie immer man ihr damaliges Handeln heute bewerten mag.
Zusammenfassend bleibt festzustellen: Anke Silomons Buch zu attestieren, es beinhalte eine Geschichte der Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, wäre verfehlt. Eine solche Geschichte muss erst noch geschrieben werden. Dann aber sollte es sich nicht um ein von der Kirche finanziertes Auftragswerk handeln, in dem nach dem Motto verfahren wird: „Was siehst Du aber den Splitter in Deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in Deinem Auge? Wie kannst Du zu Deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus Deinem Auge herausziehen! und dabei steckt in Deinem Auge ein Balken? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus Deinem Auge, dann kannst Du versuchen, den Splitter aus dem Auge Deines Bruders herauszuziehen.“

Reiner Zilkenat

 

Besprochenes Buch:

Anke Silomon: Pflugscharen zu Schwertern - Schwerter zu Pflugscharen. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Nicolai Verlag, Berlin 2014, 201 Seiten.

 

 

 

Veranstaltungshinweis

<Die Geschichte der Potsdamer Garnisonkirche von 1945 bis 1968 - Zwischen Mythenbildung und wissenschaftlicher Forschung>

Vortrag und Diskussion mit...

Referent: Matthias Grünzig
Diskussionsgast: Prof. Dr. Martin Sabrow
Moderation: Dr. Jörg Kwapis

Die Sprengung der Garnisonkirche 1968 ist ein Ereignis, um das sich bis heute zahlreiche Mythen ranken.
Der Architekturjournalist Matthias Grünzig wagte einen tiefen Blick in die staatlichen und kirchlichen Archive und förderte überraschende Erkenntnisse zutage. Die unveröffentlichten Forschungsergebnisse werfen ein neues Licht auf die Haltung der staatlichen und kirchlichen Akteure zur Garnisonkirche. Die Originaldokumente lesen sich wie ein Geschichtskrimi mit aus heutiger Sicht unerwarteten Positionen und Abläufen.
Eine wissenschaftliche Publikation ist in Arbeit, auf der Veranstaltung präsentiert der Referent seine ersten Ergebnisse.

Die Veranstaltung wird von der Bürgerinitiative 'Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche' organisiert, in Kooperation mit dem Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen der Stadt Potsdam e.V. und gefördert von der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung

 

Donnerstag, 23.April 18:00 Uhr

Hörsaal 1 Fachhochschule Potdam (Friedrich-Ebert-Str. 4)

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