FAZ-Artikel

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.10.2014

Kirchenspaltung, die zweite

Soll die Potsdamer Garnisonkirche wieder aufgebaut werden?
Dass sie eine Brutstätte für schlimme Gedanken war, lädt nicht gerade dazu ein

Kaum ein Bauprojekt in Deutschland polarisiert so stark wie der geplante Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam. Das Gebäude, das von 1730 bis 1735 nach Entwürfen von Philipp Gerlach errichtet und nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg 1968 abgerissen wurde, sorgt seit Jahren für Streit. Seit 1991 gibt es Pläne für einen Wiederaufbau der Kirche, 2004 wurde die "Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam" gegründet, 2005 erfolgte die symbolische Grundsteinlegung. Ein Baubeginn ist wegen fehlender Spenden aber immer noch nicht absehbar.

Auf der anderen Seite entwickelte sich eine starke Bewegung gegen den Wiederaufbau. 2011 bildete sich die Bürgerinitiative "Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche", ein Jahr später sprachen sich bei einer Abstimmung über den Bürgerhaushalt die meisten Bürger gegen die Verwendung städtischer Gelder für die Kirche aus. Im März dieses Jahres startete ein Bürgerbegehren gegen die Kirche, das mit einem unerwarteten Erfolg endete: Innerhalb von drei Monaten wurden mehr als 14 000 gültige Stimmen gesammelt, das nötige Quorum von 13300 Stimmen wurde damit lange vor der gesetzlichen Frist von einem Jahr erreicht. Zudem gab es immer mehr Wortmeldungen, die sich gegen den Wiederaufbau aussprachen. Sie reichten von ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern wie dem Wittenberger Theologen Friedrich Schorlemmer über die Jüdische Gemeinde bis hin zu Brandenburgs langjährigem Landeskonservator Detlef Karg. Abstimmungen in der Lokalpresse ergaben Mehrheiten von 91 Prozent gegen den Wiederaufbau.

Wer den Konflikt um die Garnisonkirche verstehen will, der muss sich ihre Geschichte vor Augen halten. Vor 1945 war sie vor allem ein Symbol für Demokratiefeindlichkeit und Militarismus. Schon während der Kaiserzeit war sie ein Ort, an dem demokratische und liberale Ideen bekämpft wurden. Diese Rolle steigerte sich noch während der Weimarer Republik, als die Kirche zum Kundgebungsort für antidemokratische und rechtsgerichtete Organisationen avancierte. Bereits am 24. November 1919 fand hier eine Kundgebung der Deutschnationalen Volkspartei mit Erich von Ludendorff statt, auf der eine Wiedereinführung der Monarchie und ein neuer Krieg gefordert wurden.

Am 18. Januar 1921 folgte eine weitere Veranstaltung der Deutschnationalen Volkspartei mit Hofprediger Johannes Vogel. Er beschimpfte die Republik als "Armenhaus und Irrenhaus" und erging sich in antisemitischen Verschwörungstheorien. Einen ähnlichen Geist atmete eine Heldengedenkfeier des Reichskriegerbundes am 1. März 1925, auf der von neuen Kriegen und einer deutschen Weltherrschaft geträumt wurde. Ein Männerchor untermalte das Geschehen mit gespenstischen Gesängen: "Wenn wir fallen, wenn wir fallen, fällt mit uns die ganze Welt!"

Diese Mischung aus Demokratieverachtung und Weltherrschaftsträumen prägte auch die folgenden Veranstaltungen. Am 13. Juni 1926 wurde auf einer Kundgebung des Deutschen Ostbundes eine "Kulturüberlegenheit" der Deutschen über die Slawen postuliert und eine Zerschlagung des polnischen Staates gefordert. Am 7. Mai 1927 verlangte der Stahlhelm Bund deutscher Frontsoldaten die Eroberung neuer Lebensräume und die Errichtung eines Führerstaates. Am 14. Juni 1928 hetzte der Deutsche Offizierbund gegen "volksfremde Elemente" in Film, Theater und Presse. Der Bund deutscher Marine-Vereine, der am 6. August 1928 zu Gast war, forderte den Aufbau einer starken deutschen Marine und die Rückeroberung der ehemaligen deutschen Kolonien. Und die Bismarckjugend der Deutschnationalen Volkspartei beschwor am 22. Juni 1930 ein Großdeutsches Reich samt Österreich und den Sudetengebieten. Auch später gab es zahllose Kundgebungen, Aufmärsche und militärische Gedenkfeiern, auf denen eine dumpfe Mischung aus Demokratiefeindlichkeit, großdeutschen Machtansprüchen und Antisemitismus kultiviert wurde. Selbst für die NSDAP stand die Kirche offen. Beim NSDAP-Aufmarsch am 4. April 1932 wurde die Garnisonkirche in Absprache mit der Gemeinde geöffnet und von SA-Männern festlich illuminiert.

Einen Höhepunkt erlebte die Garnisonkirche aber im Dritten Reich, als sie zu einer der wichtigsten Weihestätten der NSDAP aufstieg. Am bekanntesten ist der "Tag von Potsdam" am 21. März 1933, an dem Adolf Hitler und Paul von Hindenburg das Bündnis zwischen Nationalsozialisten und Deutschnationalen besiegelten. Diesem Coup folgte eine dichte Reihe von NS-Propagandaveranstaltungen. Höhepunkte bildeten eine Fahnenweihe der NSDAP am 29. August 1933, der "Tag des Staatsrates" am 16. September 1933, eine Kundgebung des Reichsarbeitsdienstes am Morgen des 24. Januar 1934, eine Fahnenweihe der Hitlerjugend am Abend des 24. Januar 1934, eine Fahnenweihe der NS-Kriegsopferversorgung am 24. Januar 1935 und ein Gautag der NSDAP am 20. Juni 1936. Es folgten weitere Heldenehrungen, Fahnenweihen und Kundgebungen. Daneben pilgerten Staatsgäste verbündeter Staaten wie Mussolini oder der japanische Außenminister Matsuoka zur Garnisonkirche. Außerdem gingen auch während der NS-Zeit die militärischen Gedenkfeiern weiter.

Diese Geschichte bestimmt alle Debatten über die Garnisonkirche. Die Fördergesellschaft verspricht zwar, dass sie den originalgetreuen Wiederaufbau mit einem neuen Inhalt verbinden will. Vorgesehen ist ein Zentrum für Frieden und Versöhnung, in dem an die Opfer der NS-Herrschaft gedacht werden soll. Viele Wiederaufbaugegner befürworten die Idee eines Versöhnungszentrums durchaus. Sie befürchten aber, dass ein Wiederaufbau die Auseinandersetzung mit dieser verstörenden Vergangenheit nicht fördern, sondern stattdessen eine "heile Welt" vortäuschen würde. Außerdem bezweifeln sie, dass der Wiederaufbau eines dermaßen belasteten Gebäudes wirklich zu einem Symbol für Frieden und Versöhnung werden kann. Diese Frage wird umso kontroverser diskutiert, als die Garnisonkirche mit militärischer Symbolik geradezu überladen war. Reliefdarstellungen von Gewehren, Pistolen, Schwertern, Pfeilen, Panzern und Rüstungen kündeten weithin sichtbar von der militärischen Macht der Hohenzollern.

Derzeit ist keine Lösung des Konfliktes in Sicht. Für zusätzlichen Zündstoff sorgt das Verhalten der in Potsdam regierenden "Rathauskooperation" aus SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen, die eine Debatte über die Garnisonkirche um beinahe jeden Preis verhindern will. Daher wurden alle Vorstöße für einen Bürgerentscheid oder auch nur eine Bürgerbefragung mit teilweise fragwürdigen Verfahrenstricks abgewürgt. Selbst der Antrag auf einen Bürgerdialog wurde von der Rathauskooperation im September abgelehnt. Deshalb dürfte der Konflikt um die Garnisonkirche weitergehen.

MATTHIAS GRÜNZIG

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