Warum Christinnen und Christen keine neue Garnisonkirche brauchen

Erläuterungen zur Erklärung

1. Der Wiederaufbau / Neubau der Garnisonkirche ist nicht nur von lokaler Bedeutung

Die Potsdamer Garnisonkirche, 1730 – 1735 auf Veranlassung des preußischen „Soldatenkönigs“ erbaut, am 14. April 1945 bei der Bombardierung Potsdams stark beschädigt, in der DDR auf Beschluss der SED-Führung vollständig beseitigt, soll wieder aufgebaut werden. Dafür engagieren sich Potsdamer aus historischen oder städtebaulichen Gründen, eine Stiftung „Preußisches Kulturerbe“ ehemaliger Militärs und eine „Stiftung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche“ unter dem Dach der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Das ist aber in Potsdam hoch umstritten. Potsdamer Bürger und Bürgerinitiativen wendeten sich gegen den Wiederaufbau mit einem Bürgerbegehren.

Der Streit berührt aber auch das Geschichtsverständnis über Potsdam hinaus. Die Initiatoren sprechen von einem Projekt von „nationaler Bedeutung“. In der Tat verkörpert die ehemalige Garnisonkirche in besonderem Maße die mit Thron und Militär im Bündnis stehende Kirche der Vergangenheit. Sie symbolisiert mit dem Handschlag von Hindenburg und Hitler am „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 das daran anknüpfende Bündnis zwischen konservativem Bürgertum, preußischem Militär und Nazi-Herrschaft. Der Wiederaufbau der Garnisonkirche bedeutet daher immer auch eine Stellungnahme zu dieser Geschichte. Wer wie die Befürworter im „Ruf aus Potsdam“ von 2004 im Wiederaufbau vor allem einen Protest gegen den als „Hinrichtung“ bezeichneten Abriss der Kirchenruine durch Ulbricht sehen will, schreibt seinerseits Geschichte neu - als ob der Abriss nicht auch etwas mit der Vorgeschichte zu tun hätte.

Aber vor allem stellen sich für Christinnen und Christen unvermeidliche Fragen: Wie will man verhindern, dass der Wiederaufbau / Neubau dieser Kirche als Signal verstanden wird, das den Bruch mit dem „Geist von Potsdam“ zurücknimmt? Wie will man die Fertigstellung des Turms ausgerechnet zum Reformationsjubiläum 2017 feiern – ohne die damit provozierte Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der Kirchen der Reformation, antidemokratischen Geistes und antijüdischer Hetze zu thematisieren? Wie kann man meinen, dass die Garnisonkirche ein Ort der Versöhnung werden kann, wo sie doch vor allem ein Ort der Buße sein muss, der Umkehr zu einer Kirche des Friedens und der Gerechtigkeit?

2. Was muss man über die Geschichte wissen?

Die Garnisonkirche wurde gebaut für Soldaten, das Heer des Königs, denen beim Kirchgang tieferer Sinn und Zweck der soldatischen Existenz, Sinn des Lebens und Sterbens für König und Vaterland nahegebracht werden sollte („Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten, er haltet und waltet ein strenges Gericht“). Bilder, Fahnen und andere Symbolik im Kirchenraum und im gottesdienstlichen Vollzug unterstrichen das gesungene und gesprochene Wort. Der Kirchenraum diente in seiner Intention von Anfang an (und nicht erst seit 1933) der religiösen Rahmung und Überhöhung nationalistisch-kriegerischer Politik. Als ideologische Grundlage diente die Vorstellung vom wilhelminischen Gottesgnadentum, dessen Macht nicht durch Volkes Befragung legitimiert zu werden brauchte. Die kirchlichen „Amtsträger“ hatten dies durch Vollzug des Ritus zu bestätigen. Die Potsdamer Garnisonkirche ist nicht das einzige so missbrauchte Gotteshaus.

In diesem Zusammenhang ist auch die „Vereinigung der bisherigen reformirten und lutherischen Hof- und Garnison-Gemeinde zu Potsdam zu Einer evangelisch-christlichen Gemeine“ (Unionsurkunde vom 27.09.1817) kein Ausdruck reformatorischer Freiheits- und Gleichheitsbestrebungen, sondern Beleg für die autoritär „von oben her“ dekretierte Uniformierung des Glaubens (Talar als Amtstracht). Damit wurde das Bündnis von Thron und Altar erweitert und gefestigt zum Bollwerk gegen die aufrührerischen Ideen der französischen Revolution. Dieses verhängnisvolle Bündnis, das 1918 endlich außer Kraft gesetzt zu sein schien, wurde mit dem „Tag von Potsdam“ neu in Szene gesetzt.

Die Bilder vom Handschlag Hindenburgs und Hitlers vor der Garnisonkirche haben sich tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Nun können heutige Forschungen differenzieren und die Bedeutung dieser Geste vor der Kirche nach dem gemeinsamen Aufsuchen entdramatisieren (Martin Sabrow). Dennoch: Dieser Ort hat der Eröffnung des neuen Reichstages, der Entmachtung der letzten demokratischen Bastionen, hat dieser Stunde d i e besondere Weihe gegeben. Nun hatte der neue Führer des Reiches die Weihe, die ein Herrscher nach nichtdemokratischem Verständnis braucht. Die Vorstellungswelten der Deutschnationalen vom Gottesgnadentum aus Kaiserzeiten konnten hier anknüpfen. Das Einschwören des Militärs auf die Person Hitlers nach Hindenburgs Tod hatte nach dieser „Weihe“ in Potsdam seine innere Logik.

Nicht was in Einzelheiten damals wirklich von statten ging, sondern wie die Bilder gesetzt und verstanden wurden, ihre Wirkungsgeschichte, sind das Ausschlaggebende. Auch beim Glockenspiel („Üb' immer Treu und Redlichkeit“) konnte die Musik Mozarts den Missbrauch durch den Großdeutschen Rundfunk nicht verhindern.

3. Welche theologische Konsequenzen stellen sich hier?

Die theologischen Treibsätze bzw. Wurzeln dieser Art „Staatskirchentums“ sind immer wieder referiert worden. Missverstandene „Zwei- Reiche- Lehre“ Luthers und das Schutzverhalten der reformatorisch gesonnenen Fürsten in und nach der Reformation Luthers verstärkten noch einmal ein Kirchenverständnis, das als kirchliche Existenz im Konstantinischen Zeitalter beschrieben werden kann. Thron und Altar betrachteten sich gemeinhin als maßgebliche Ordnungskräfte der Gesellschaft. Die Potsdamer Garnisonkirche hatte zumindest in ihren damaligen „Lebensäußerungen“ gewollt Anteil an dieser Aufgabenstellung.

Zu diesen Äußerungen, zu diesem „Geist von Potsdam“, gehörte die Predigt von Otto Dibelius beim Festgottesdienst am 21. März 1933 in der Nikolaikirche, in der er die brutalen Repressionen der Nazis gegen ihre politischen Gegner ausdrücklich billigte: „Wenn der Staat seines Amtes waltet gegen die, die die Grundlagen der staatlichen Ordnung untergraben, gegen die vor allem, die mit ätzendem und gemeinem Wort ...den Glauben verächtlich machen, den Tod für das Vaterland begeifern – dann walte er seines Amtes in Gottes Namen...“ (Vgl. Zitat bei: Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 314f.)

Warum man nun ausgerechnet den Ort, der aus heutiger Sicht das Versagen der Kirchen damals symbolisiert, als Ort kirchlichen Geschehens wieder aufbauen soll - und das auch noch ausgerechnet zum Reformationsjubiläum 2017 - ist vielen Menschen im Lande nicht einleuchtend, wird zum Ärgernis und Sinnbild einer unerledigten Vergangenheit.
Demgegenüber haben die evangelischen Christinnen und Christen in Deutschland auf einem langen und schmerzhaften Weg ihr Verhältnis als Kirche zum Staat klären müssen. Trennung von Staat und Kirche bedeutet keineswegs Rückzug kirchlichen Lebens aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen. Ganz im Gegenteil: Friedensarbeit, Versöhnungsimpulse, soziale Verantwortung, streitbarer Diskurs um den Wertekanon dieser Gesellschaft – das alles sollen markierende Zeichen für eine öffentlich auffindbare Kirche sein.

Ein kirchliches Engagement in Sachen Garnisonkirche wird trotz aller eher gedrechselt erscheinenden geistlichen Begründungen zum öffentlichen Verwirrspiel geraten. Der Neubau dieser Kirche wird den Bruch (das gebrochen Haben) mit dem „Geist von Potsdam“, wie er z. B. in den Bekenntnissen von Barmen und Darmstadt formuliert wurde, nicht zum Ausdruck bringen. Im Gegenteil, es wird der Eindruck erweckt, dass dieser Bruch zu heilen (rückgängig zu machen) sei und Kirche aus schwierigen Zeiten wieder zu so verstandener „Normalität“ in einer bürgerlichen Gesellschaft findet, die vorgeblich genau darauf wartet.

4. Was ist zum bisher erkennbaren Nutzungskonzept zu sagen?

Wer einen Bau errichten möchte, formuliert ein Nutzungskonzept. Und das Nutzungskonzept nimmt den realen Bedarf auf. Die Dresdener Frauenkirche konnte gebaut werden, weil schließlich und nach langen diskursiv geführten Verhandlungen Kirche und Stadt mit den Förderern gemeinsam sagten: Ja, die Kirche soll als Kirche wieder genutzt werden. Und das Vorhaben war getragen von der positiven Erwartung der Dresdener Bevölkerung.

Im Blick auf die Potsdamer Garnisonkirche ist nicht nur einer breiten Öffentlichkeit das Nutzungskonzept nicht deutlich, es leuchtet auch nicht ein.

  1. Mit der nahe gelegenen Nikolaikirche wird der parochiale Gottesdienstbesucherbedarf (und auch die Möglichkeit zur Turmbesteigung) hinreichend abgedeckt. Deshalb auch die Überlegungen zur Gründung einer ortsunabhängigen Personalgemeinde an der Garnisonkirche. Was aber soll die Sonderstellung dieser Kirche begründen? Um den Irrweg der Kirche, ihre Verbindung von Thron und Altar und letztendlich seine Folgen den heutigen Menschen nahezubringen, ist das Neuerstehen dieser Kirche nicht notwendig. Es würde diesem Anliegen gar im Wege stehen. Das Gebäude würde in seiner Gestalt, in seiner Tradition und durch seinen Namen „predigen“, was endlich überwunden sein muss.
  2. Die Stiftung für den Wiederaufbau Garnisonkirche Potsdam gibt durch öffentliche Äußerungen und Veranstaltungen mit der Bundeswehr ihrerseits zur Vermutung Anlass, dass sie mit der neuerrichteten Kirche an deren Militärtradition anknüpfen möchte. Wie passt aber der beim preußischen Militär gepflegte Untertanengeist zu einer Bundeswehr, die sich dem Leitbild des „Bürgers in Uniform“ verpflichtet hat? Ist die Tatsache, dass ein Henning von Tresckow, der schließlich seinem Gewissen und Kalkül statt seinem falschen Eid auf den „Führer“ folgte, in dieser Kirche zu Hause war, genug, um den Bruch mit dieser Tradition zu bezeugen?
  3. Hier zeigt sich die ganze Problematik des Versuches, die Garnisonkirche zur „Keimzelle des 20. Juli“ (Manfred Stolpe) umzudeuten und mit der Verleihung des Nagelkreuzes von Coventry zu krönen. Als Hauskirche des kaiserlichen Ersten Garderegiments, dessen Tradition im Infanterieregiment 9 (IR 9) ungebrochen fortgeführt wurde, hat die Garnisonkirche nicht nur einige Widerstandskämpfer, sondern sehr viel mehr flammende Nationalsozialisten „hervorgebracht“ (vgl. Linda von Keyserlingk, Die Garnisonkirche – Keimzelle des Widerstands?, in: Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung, 2013, S. 91 ff.).

In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, dass die ursprüngliche Zusage, die Spitze des Turmes mit dem Nagelkreuz zu krönen, zurückgenommen wurde. An ihrer Stelle soll die schon jetzt aufwändig rekonstruierte historische Wetterfahne mit den preußischen Insignien zeigen, „woher der Wind weht“.

  1. Grundsätzlich spricht die ungebrochene Wiederaufnahme der alten (95m hohen) Turm-architektur eine eigene Sprache: Signalisiert sie nicht doch wohl den Triumph, endlich wieder aus der Asche erstanden zu sein, anstatt mithilfe einer deutlich gebrochenen Außenform zur Buße zu rufen? Wirkt sie nicht als Monument wiedererlangten nationalen Selbstbewusstseins und zieht somit hin zur Wiederaufnahme der alten Funktion als „Soldatenkirche“? Sind nicht hier bevorzugt religiöse Handlungen von und mit der Bundeswehr zu erwarten? Lässt sich ein solcher Dissens in Form und Nutzungskonzept gegenüber dem Plan eines Friedenszentrums wegreden?
  2. Als Ort der Versöhnung leuchtet dieser Neubau deshalb gar nicht ein. Wer soll sich da mit wem versöhnen? Soll sich etwa die evangelische Kirche von heute mit der an diesem Ort greifbaren unseligen Vergangenheit, mit einem Ort, der ein Symbol der Verirrung und des Missbrauchs der Friedens- und Versöhnungsbotschaft des Jesus von Nazareth ist, versöhnen? Und nachdem die SS das gute Wort „Treue“ mit ihrem Kampfmotto „Meine Ehre heißt Treue“ menschenfeindlich missbraucht hat, ist es geradezu peinlich, wenn heute von einem Kirchturm Glocken „Üb' immer Treu und Redlichkeit“ intonieren. Demokratischer Bürgersinn wird so nicht geweckt. Und die Wachheit, zu der uns das Evangelium ermutigt, erst recht nicht.
  3. Noch zeigt sich kein religionspädagogisch einsichtiges Konzept in seinen Grundzügen. Nichtkirchlich sozialisierten Heranwachsenden mit Hilfe dieser kostspielig neuentstandenen Kirche und ihrer zerbrochenen Geschichte das Evangelium von der Liebe Gottes zu allen Menschen nahe bringen zu wollen, ist irreführend und falsch.

Das Bedürfnis, das jetzige Potsdamer Stadtbild zu korrigieren, kann man verstehen. Der Bau des neuen Parlamentes in Gestalt des alten Potsdamer Schlosses entspricht diesem Bedürfnis. Den Streit, inwieweit architektonischem Eklektizismus, historisierender Bauweise oder der Moderne Vorrang gegeben wird, sollen Fachleute und die Bürgerinnen und Bürger Potsdams austragen, auch die Entscheidung, was an dem ehemaligen Standort der Garnisonkirche getan werden muss.

Nur ist das nicht Aufgabe einer Evangelischen Kirche im 21. Jahrhundert. Es spricht vieles dafür, eine wiedererstehende Garnisonkirche nicht mehr und nicht wieder als Gotteshaus in Dienst zu nehmen.

1. September 2014
Initiative „Christen brauchen keine Garnisonkirche“